Mittwoch, 20. Februar 2013

Ad personam

Muss man selbst religiös sein, wenn man sich mit Sakralgebäuden beschäftigt? Hier tut sich der Verfasser schwer, eine allgemeingültige Antwort zu finden. Das eigene Denken und Verhalten – religiös nicht motiviert und nicht gebunden – könnte danach streben, sich gerechtfertigt zu sehen. Aber vielleicht sind derartige Skrupel eben immer noch Relikte einer kirchlichen Frühsozialisation.

Die Mutter des Verf. stammte aus Köln und hatte eine, wie er meint, folkloristische Einstellung zum katholischen Glauben. Ein Onkel von ihr war kath. Pfarrer, ein anderer Jesuit. Also wurde der Verf. katholisch getauft und so aufgezogen. Mit 111/2 Jahre wurde er in den Firm-Unterricht geschickt. Statt nun fester im Glauben zu wer­den, verliebte er sich in das „Mädchen mit dem roten Anorak“, dem er stundenlang nach­lief, bis sie sich seiner erbarmte und ihn ansprach. Letztlich kam es zu Zärtlichkeiten und zu dem, was die katholische Sittenlehre als Unkeuschheiten diffamiert. Nie aber wird der Verf. bis an das Ende seiner Tage jene sinnliche Freude verleugnen, die darin liegt, so ganz leicht eine weibliche Brust in der Hand zu haben. Die sichere sinnliche Erkenntnis darüber ließ in ihm die feste Überzeugung aufkommen, das ist so köstlich, das ist nichts Falsches, das ist keine Sünde. Und wenn doch, dann kann er es eben nicht bereuen. So zerfiel in ihm zuerst die Adaption an die Sittengesetze dieser Religionsgemeinschaft, dann der gesamte Glauben schlechthin.

In der Schule war der Verf. in Religion immer einer der besten, erhielt aber nie die eigentlich fällige Note „1“, weil eben ein Ungläubiger nicht so benotet werden darf, sicherlich ein Moment, der ihn in seiner Distanz zur Religion überhaupt bestärkte, denn wenn ihre Vertreter so unge­recht sind und nicht Leistung, sondern Haltung würdigen, dann will er damit nichts zu tun haben. Generell ist zu sagen, dass dem Verf. nicht nur das Christentum, sondern alle Religion abhanden kam.

Einen gewissen Kulturschock erlitt der Verf., als er 1958 zum ersten Mal in der Türkei war und einen muslimischen Gebetsgottesdienst erlebte. Das Christentum war für ihn ein Teil auch seines abendländischen Denkens, er hatte dessen materielle Seite nach seiner Abwendung nie überdacht. Nun war da eine ganz andere Art der Zuwendung zu Gott, ohne Opferhand­lung, mit reduziertem Ritus. Der Verf. schämte sich als Abendländer geradezu für die ihm nun peinlich erscheinende Umsetzung der christlichen Annäherung an Gott. Dabei ist es soziolo­gisch betrachtet völlig gleich, ob man das biblische Wort εστίν mit „ist“ oder „bedeutet“ übersetzt. Das Unterfangen, des Gottes dadurch teilhaftig zu werden, dass man ihn isst (katholisch=real, evangelisch=symbolisch), erscheint ihm seitdem ethnologisch als steinzeitlicher Atavismus, individualpsychologisch betrachtet, als Verharren in der oralen Phase.

Die Griechen hatten im Verhältnis zu der von ihnen geschaffenen Philosophie eine geradezu läppische Religion mit einem Obergott, der alles vögeln wollte, was Körperöffnungen hatte. Jedoch hatten sie kaum einen professionellen Priesterstand, was mit ein Grund dafür ist, dass sie eine Theologie nicht entwickelten. Im Christentum gibt es überwältigende Gedanken: die Bergpredigt, das dialektische Verhältnis von Selbst-  und Feindesliebe, die großartige Bitte „und führe uns nicht in Versuchung“, jedoch der Bereich, den man als die materielle Seite bezeichnen kann, ist ähnlich läppisch. 1954 war der Verf. in Padua das erste Mal in der Basilika der St. Antonius, die dort aufgestellten Reliquien – u.a. der Fleischklumpen der Zunge des Heiligen und der Armknochen des Heiligen Bonaventura – vermochten fast, ihm den Blick auf die Herrlichkeit des mit Kuppel gekrönten Bauwerkes zu rauben, da schien die Geschmeidigkeit des davorstehenden Gattamelata attraktiver. Kommt man Gott näher, wenn man einen alten braunen Knochen betrachtet? 1964 war das Mittelschiff der fünfschiffigen Kathedrale in Burgos so hoch vom übrigen Raum abgetrennt, dass eben nur die sozial erwünschten Gläubigen am Geschehen teilhaben konnten, ein Grund dafür, dass der Verf. die Kirche spornstreichs verließ.

Mittlerweile ist der Verf. älter geworden, gelassener sieht er die Dinge. Ob es Altersweisheit oder Resignation ist, mag er nicht entscheiden, jedenfalls regt er sich über die Alltäglichkeiten der Religionen kaum noch auf. Seit jeher interessierten ihn die Dinge der Vergangenheit, sein Großvater führte ihn in den Jahren 1950 bis 1955 zu sämtlichen Burgen am Rhein zwischen Mainz und Koblenz. Die mütterliche Seite wollte dann wenigstens die ästhetische Attraktivität der Kirche gewahrt sehen, also hat er immer wieder Kirchen und Klöster besichtigt, und tut das heute noch.

Einer der innigsten Kenner der Kirchen Roms ist trotz der „unsauberen und unmoralischen“ Aufforderung in der Mitte der 1920er Jahre nicht Christ geworden, was seiner wissenschaftlichen Betrachtungsweise keinerlei Abbruch tat. Der Verf. will im Grunde nur das, was er bei seinen archäologischen Ausflügen so nebenbei sah, festhalten, anderen zeigen, letztlich nimmt er den Kampf auf gegen die „Furie des Verschwindens“, ein Begriff, von Hegel ganz anders gebraucht, aber zutreffend auf die Situation der Kirchenruinen in Kleinasien. Er will Bilder zeigen, einige Texte dazu absondern, Wissenschaft zu betreiben, ist nicht beabsichtigt, schon deswegen, weil der Verf. keinen Zollstock mit herumschleppt, um ihn ins Bild zu legen. So ist denn KIKLA kein weiblicher Kreis, sondern erklärtermaßen ein Torso. Einzelne Bilder kann jeder herunterladen, verwenden, nur bei einer Veröffentlichung schmeichelte es der Eitelkeit des Verf., wenn er ein Exemplar erhielte. Auch zur Übersendung von Bilddaten in einer verwendbaren Größe ist er bereit.

Damit der geneigte Leser sich ein Bild machen kann: Das nachfolgende Bild zeigt den Verf. im Mai 2012 beim Verlassen der kleinen Rundkirche in Kozluca, Nähe Digor, Provinz Kars.